Es ist 19:00 – Zeit für den Feierabend. Ich sitze auf dem Sofa, eine Tasse Tee dampft auf dem Tisch, und während ich aus dem Fenster in die Abenddämmerung schaue, denke ich nur eins:
unbezahlbar.
Im März erleben wir zwischendurch immer wieder so richtiges Tauwetter und damit wächst unser Verdacht, dass der Winter bald vorbei sein wird. Es tauchen wieder mehr Vögel bei uns auf und die vielen Hasen-, Fuchs- und Elchspuren in unserem Wald zeigen deutlich, dass es Zeit für den Frühling wird. Trotz all dieser Anzeichen und trotz des kalendarischen Frühlingsanfangs ist es für den Frühling in Lappland noch nicht wirklich Zeit; der Winter sollte mindestens bis Ende April andauern und die Plusgrade zusammen mit dem starken Wind hätten wir erst im Mai erwartet. Dennoch fiebern die Tiere der Wärme sichtlich entgegen und ich schätze, dass es mitunter an dem harten Winter liegt, der sehr viel Schnee und zeitweise deftige Minusgrade mit sich gebracht hat.
Eine Vogelart ist besonders zutraulich: der Lapplandhäher, auch Lavskrika genannt. Plötzlich hat er einfach beschlossen, dass das Hundeleckerli, das Tobi Aleesha geben wollte, für ihn bestimmt ist und hat versucht, es Tobi aus der Hand zu klauen. Seitdem setzt er sich öfter mal auf die Hand, um ein paar Krümel Hundeleckerli zu holen. Der Moment, wenn er sich danach zufrieden auf einen Ast setzt und sein fröhliches Gepfeife anstimmt, ist einfach unbezahlbar.
Ein Fuchs hat inzwischen eindeutig die Hühner im Visier; seine Spur führt einmal um den Stall und quer durchs Gehege. Dessen Zaun wurde von den Schneemengen und von einigen Lavinen begraben. Allerdings wollten die Hühner ohnehin nicht mehr nach draußen – auch nicht dann, als wir den Schnee mit unseren Schneeschuhen nach unten getrampelt hatten. Für den nächsten Winter bekommen sie in jedem Fall einen überdachten Bereich im Außengehege. Unvorstellbar, was uns verloren ginge, würde der Fuchs sich die Hühner schnappen! Die Rasselbande aus den 13 rot und weißgescheckten Hühnern und dem schwarzen Hahn Jim Knopf ist mir inzwischen so richtig ans Herz gewachsen. Auch Aleesha liebt unsere Hühner. Es ist schon eine Pflicht, dass wir sie mindestens einmal am Tag mit in den Stall nehmen. Manchmal besteht sie so sehr darauf, dass sie nicht einmal mit uns laufen gehen will, bevor sie nicht bei den Hühnern nach dem Rechten gesehen hat. Und wenn wir dann noch so sehr auf den Schneeschuhpfad hinsteuern oder versuchen, sie mit Leckerli zu bestechen, dann hilft das alles nichts, denn Aleesha rennt schnurstracks in Richtung Scheune. Dann kann sie es kaum erwarten, ihre Nase in den Stall zu stecken. Vorsichtig beschnüffelt sie die Nester und ab und zu auch mal ein paar Hühner. Außerdem hat sie es sich zur Gewohnheit gemacht, alle Eier im Nest mindestens einmal mit ihrer feuchten Schnauze anzustupsen. Ihr lustiges Verhalten im Stall bringt mich noch jedes Mal zum Lachen – unbezahlbar!
Anfang März gehen wir endlich Skifahren. Der Ausflug ist teuer aber es lohnt sich. Zusammen mit der Northern Family erleben wir einen unvergesslich schönen Tag. Die Sonne strahlt und die Aussicht auf die Berge und den See ist malerisch. Schon nach wenigen Runden Übung sind Tobi und ich wieder voll dabei. Naja, das heißt, Tobi fährt mit dem Lift bis ganz nach oben, während ich meine Skikenntnisse am Kinderhang auffrische. Obwohl ich zusammen mit meinem Cousin bereits mit fünf auf Skiern im Garten unserer Oma gestanden habe, bin ich leider nie richtig dran geblieben. Tobi hingegen hat im Zusammenhang mit seiner Fachlehrerausbildung einen Kurs als Skilehrer absolviert und das Ergebnis kann sich sehen lassen! Nächstes Mal komme ich in jedem Fall mit ganz nach oben. Da Tobi so motiviert ist, hat er sich gleich Skier gekauft. Seine Erlebnisse auf der Piste sind unbezahlbar.
Fast alles können wir uns inzwischen kaufen oder bestellen. Der Onlinehandel, der Import, die riesigen Supermarktketten machen es möglich. Aber es gibt eben Dinge, die lassen sich nicht kaufen und dazu gehören das richtige Wetter, die Zeit, Gesundheit, Freundschaft, Glück, Liebe und Leben und vieles mehr. Beispielsweise könnte ich mir Nutzpflanzen kaufen, sobald mein Gewächshaus fertig ist, doch stattdessen mache ich mir die Mühe, die Pflänzchen aus Samen zu ziehen. Natürlich ist das aufwändiger, aber es macht mir persönlich einfach soviel Freude, wenn die Samen anfangen zu keimen. Es ist schön, beim Gießen immer neue, minikleine Keime zu entdecken. Es gibt sogar Pflänzchen, denen kann ich beim Wachsen förmlich zuschauen! Es macht mich glücklich, auf diese Weise produktiv zu sein und dieses Glück gibt es nicht zu kaufen; es ist unbezahlbar.
Was gibt es Wertvolleres als die Zeit, die wir haben? Und wenn wir sie mit anderen Menschen teilen und ihnen ein Stück unserer Zeit schenken, kann das unbezahlbar wertvoll sein. Viktoria ist beispielsweise so ein Mensch: einmal in der Woche nimmt sie sich für Naomi und mich Zeit und wir lernen Schwedisch mit ihr. Ich bin mir sicher, dass sie als Mama von vier bzw. bald fünf Kindern unzählig viele andere Dinge zu tun hätte! Ihre Zeit ist so wertvoll und wir sind ihr unglaublich dankbar für ihre Hilfe. Im Übrigen hat sie einen YouTube Kanal: Viktoria Wigenstam.
Auch für Naomi bin ich so dankbar! Sie hat mich an ein schönes Ritual erinnert, das bei mir leider in Vergessenheit geraten war: das Notieren der Dinge, für die ich dankbar bin. Sie hat eine Homepage erstellt und möchte damit Möglichkeiten bieten, wie wir unsere Dankbarkeit täglich zum Ausdruck bringen können und dadurch unser Leben verändern: www.gratitudechangedmylife.com. Denn eines ist klar: Wir können alles haben und dabei todunglücklich sein, weil wir alles für selbstverständlich erachten. Oder wir können wenig haben und uns über jede einzelne Kleinigkeit freuen, indem wir beginnen, dafür zu danken. Denn ob wir es glauben oder nicht, vieles von dem, was wir haben, können wir nicht kaufen. Es ist unbezhalbar.
Wie gut ist es, dir, Herr, zu danken
und deinen Namen,
du höchster Gott, zu besingen
Psalm 92, 2