Aus unserer Zeit in Lappland im Mai und April
Prolog: Übermüdet und angespannt
Es ist Dienstag, der 24. Mai, abends um 21 Uhr. Ich kann nicht mehr! Drei Nächte hintereinander war ich fast stündlich wach und habe nachgeschaut, Temperatur und Luftfeuchtigkeit beobachtet, nachjustiert und später nochmals überprüft. Wie kann es nur sein? Gestern hat doch noch ein Ei gewackelt und in einem hat es gepiepst und heute? Ich sehe nichts und höre nichts! Aber eins ist klar, vom Umherschleichen und Reinspickeln wird es auch nicht besser – also kann ich nichts Weiter machen, als ins Bett zu gehen. Doch die Selbstzweifel halten mich wach, bis Tobi mich endlich auf den Boden zurückholt: „Komm her und schau es dir an!“ ruft er. Also gehe ich zu ihm ins Kükenzimmer und schaue in den Brutapparat. Da sind sie wieder, die wackelnden Eier! Ich schöpfe neue Hoffnung. Alle haben mindestens ein Lebenszeichen von sich gegeben…bestimmt ist es morgen soweit… Da endlich schaffe ich es, all die Verantwortung, die viel zu schwer auf mir lastet und mir ohnehin nicht zusteht, im Gebet ganz und gar abzugeben an die Macht, die allein das Leben schenken kann: meinen Gott, den Allerhöchsten, den Schöpfer allen Lebens selbst – und schlafe friedlich ein.
„Wenn es jemandem von euch an Weisheit mangelt, zu entscheiden, was in einer bestimmten Angelegenheit zu tun ist, soll er Gott darum bitten, und Gott wird sie ihm geben. Ihr wisst doch, dass er niemandem sein Unvermögen vorwirft und dass er jeden reich beschenkt.“ Jakobus 1,5
Auf dem Boden der Tatsachen – Ein Monat zuvor
Die Gnade der Unbarmherzigkeit liegt auf dem Grund der Tatsachen verborgen. Oder was ich damit eigentlich sagen will: das Leben endet tödlich aber auch das ist im Grunde genommen Gnade.
Unser Kater Bonnie ist alt und schwach geworden. Mehr denn je weiß ich, dass er nicht mehr lange leben wird. Die letzten beiden Jahre haben uns enger zusammen geschweißt. Er hat sehr viel Zuneigung und Pflege gebraucht. Schließlich, so scheint es, wartet er auf den Frühling, um sich zu verabschieden. Tatsächlich hört er nach den ersten, milderen Tagen auf zu fressen und bald möchte er auch nichts mehr trinken. Seine letzte Zeit bei uns verbringen wir abwechselnd damit, ihn zu pflegen und um ihn zu trauern, bis er schließlich stirbt. Wie unverdiente Gnade erscheint es mir, dass ich unseren 17jährigen alten und wunderbaren Kater in seinen letzten Minuten halten darf und gemeinsam tragen wir ihn nach draußen an seinen Lieblingsplatz. Es schmerzt sehr, ihn gehen zu lassen, aber – und das ist die unbarmherzige Seite der Tatsache – es muss sein.
Eine Zeit lang sitzen wir dort, legen Bonnie unter seinen geliebten Wachholderstrauch und verabschieden uns endgültig. Schließlich bedecken wir seinen leblosen Körper mit einem Tuch, um ihn später am Abend dort zu begraben.
Die Traurigkeit der nächsten Tage ist für mich schwer zu ertragen. Bonnie fehlt – er hat eine Lücke hinterlassen. Manchmal träume ich von Bonnie und am Morgen danach wiegt die Trauer besonders schwer, dann möchte ich gar nicht erst aufstehen. Daher nehme ich mir vor, jeden Tag meine erste Tasse Kaffee draußen zu trinken und nebenbei Fotos zu machen. Erst nach einiger Zeit – und das ist der gnädige Teil der Sache – keimt eine Dankbarkeit in mir auf, die die Trauer nach und nach weichen lässt. Es ist für mich wie Gnade, dass Bonnie 17 Jahre lang ein Teil meines Lebens war und die Erinnerungen an ihn sind wie ein großer Schatz für mich.
„Begreift doch endlich: ich allein bin Gott, und es gibt keinen außer mir. Ich ganz allein bestimme über Tod und Leben, über Krankheit und Gesundheit. Niemand kann euch meiner Macht entreißen.“ 5.Mose 32,39
Eine Maßnahme gegen die Traurigkeit am Morgen, welche mich Überwindung kostet, aber sehr gut funktioniert.
Tatsache: Geld wächst nicht auf Bäumen, oder doch?
Ein Punkt, den ich auf diesem Blog noch längere Zeit vermieden habe, ist der finanzielle Aspekt. Weil ich aber danach gefragt wurde… Fangen wir einmal so an: Wir hatten durch den Verkauf unseres Hauses in Deutschland ein Startkapital, mit welchem wir in Schweden einen Hof und ein Ferienhaus schuldenfrei erwerben konnten. Dazu konnten wir uns eine Sägemühle, ein Quad mit Schneeschild und einige andere notwendige Ausrüstungen leisten. Als nächstes wären da die Nebenkosten, die entweder wegfallen (Wasser, Spritkosten für die Fahrt zur Arbeit, Heizkosten) oder sich gering halten (der Strom ist recht günstig). Dann die Tatsache, dass wir durch einige Tage Arbeit auf Feldern in der Umgebung unseren Bedarf an Kartoffeln, Kraut, Karotten und Rote Bete decken können sowie der Faktor, dass wir selbst Gemüse anbauen und die Eier unserer Hühner essen. Rhabarber, Träuble (schwäbisch für rote und schwarze Johannisbeeren), Himbeeren und Blaubeeren wachsen von allein und wollen nur geerntet werden. Dadurch bleiben auch die Ausgaben für Lebensmittel im Rahmen und wären wir nicht so verwöhnt durch Spaghetti mit Tomatensoße, Pizza, Schokolade, Kaffee und Ähnliches, müssten wir bald außer den Milchprodukten, ein bis zwei Rentieren im Jahr, Mehl, Öl, Kraftstoff, Putzmitteln und Tierfutter nichts mehr kaufen. Wie und weshalb ich seit Jahren außer Zahncreme kaum noch Kosmetik-, Pflege- und Hygieneartikel mehr kaufe, würde hier den Rahmen sprengen. Toilettenpapier…?!?
Mit der Sägemühle und den Bäumen auf unserem Grundstück ist ein minimaler Tauschhandel möglich. So gesehen wächst Geld „in der Tat“ auf, beziehungsweise in Bäumen.
„Gottes himmlisches Reich ist wie ein verborgener Schatz, den ein Mann in einem Acker entdeckte und wieder vergrub. In seiner Freude verkaufte er sein gesamtes Hab und Gut und kaufte dafür den Acker mit dem Schatz.“ Matthäus 13,44 – In unserem Fall handelt es sich bei dem Schatz um den Gemüseanbau.
Tatsächlich ein Haufen Mist…
Pferdemist ist es in diesem Jahr, im letzten Jahr war es Schafsmist. Völlig gleichgültig, woher der Mist nun kommt – es gibt ihn gegen Selbstabholung umsonst, obgleich er für uns so wertvoll ist! Das Märchen, in dem der Esel Gold wirft, ist für uns im Grunde genommen nicht so weit von der Realität entfernt. Ich würde unseren Mist in jedem Fall nicht gegen Gold tauschen, denn ich habe noch kein Feld gesehen, das mit Edelmetallen gedüngt werden kann. Wir investieren unsere Arbeitskraft in Nachhaltiges wie Selbstversorgung und passives Einkommen, tatsächlich deshalb: weil es uns Spaß macht, aus Überzeugung und weil wir es können.
Arbeit und Freizeit vermengen sich, da wir die meisten Aufgaben gerne machen. Oftmals wird das Fitnesstraining beispielsweise durch Holzmachen ersetzt und am Ende des Tages fühlen wir uns müde aber glücklich.
Simple Tatsachen: Brennholz und Tomaten
Unser erster, offizieller Gast der Blockhütte fasst es eigentlich tipptopp zusammen: „Also, dein Mann macht Brennholz und du pflanzt Tomaten an.“ Eine einfache Tatsache auf den Punkt gebracht! Die Aussage ist zwar noch etwas ergänzungsbedürftig, aber doch durchaus Tatsachen getreu.
Auf zu neuen Tat(sach)en!
Der Tatendrang ist nunmehr umso größer, da uns eine gewisse Sache klar geworden ist: wir können nicht in Lappland rumsitzen und unsere Auszeit mit Däumchen Drehen vergeuden – so würde sich das Timeout wie ein echtes, zielloses Festsitzen anfühlen. Dadurch, dass wir aber Neues in Angriff nehmen, fühlen wir uns alles andere als verloren und auf die Strafbank verbannt. Es gibt so viel zu tun, so viele großartige Ideen und Möglichkeiten – wie etwa der Bau einer verkleideten Dusche im Freien und das Errichten einer beheizten Badewanne, der Versuch an einer Kükenaufzucht heimischer Rassen mithilfe eines Brutapparats, das Anlegen neuer Beete und eines Ackers mit wunderbarem Boden – auf dass unsere Taten Früchte bringen mögen.
„Liebe nicht den Schlaf, sonst bist du bald arm! Mach die Augen früh auf, dann hast du genug zu essen!“ Sprüche 20,13
Schauen wir den Tatsachen ins Auge: wir verzichten auf so manchen Luxus und führen ein einfaches, arbeitsreiches Leben, das uns glücklich macht. Natürlich verzichten wir nicht auf leckeres Essen, Spaß und Abenteuer -; gehört der Genuss doch zum Leben dazu!
„Also iss dein Brot, trink deinen Wein und sei fröhlich dabei! Denn Gott hat schon lange sein Ja dazu gegeben.“ Prediger 9.7
Epilog: Lebenswunder
Es ist Donnerstag, der 26. Mai und ich sitze verschlafen aber glücklich am Fenster, die Kaffeetasse in der einen Hand, das Handy in der anderen. Draußen ist alles frisch und grün, die Vögel zwitschern und ein leichter Frühlingsregen bringt die vom Gras ersehnte Nässe. Es ist mild und wunderschön draußen – fast schon sommerlich! Kaum zu glauben, dass erst vor drei Wochen die Schneeschmelze war und bis Ende April noch Eisschollen auf dem See. Kaum zu glauben, dass ich vorgestern noch so überaus nervös war und heute so ruhig und glücklich: zwei der sechs Küken sind geschlüpft! Letzte Nacht war ich wiederum gegen zwei, halb drei aufgewacht und hab natürlich nach den Eiern im Brutapparat geschaut. Gegen zwölf Uhr nachts waren bereits vier Eier angepickt. Inzwischen, also um halb drei, war eines schon ziemlich weit. Nur die Ruhe, rede ich mir zu und schaue endlich das Video, das meine Mama mir empfohlen hat – vom Dinosaur auf YouTube zum Schlupf – was ich mache, was ich lasse oder so ähnlich. Es hilft! Es beruhigt mich ungemein und ich bin um Einiges schlauer. Als ich aber schon wieder ins Bett schlüpfen will, und vorher noch schnell in den Apparat schaue – da kommt es schon, das erste Küken! Ich bin life dabei. So etwas habe ich noch nie gesehen! Ich bin selig und schlafe etwas ruhiger. Vorhin dann nach dem Aufwachen waren es schon zwei. Soviel habe ich also nicht falsch gemacht bei meinem ersten Experiment mit der Kunstbrut! Ich bin völlig erleichtert, befreit, fühle mich überhäuft mit Glück und voller Hoffnung auf mehr. – Fortsetzung folgt –