Wunder über Wunder

Als wir im vorigen Jahr mitten im August hier in Lappland angekommen waren, fanden wir unser Grundstück als große, grüne Sommerwiese umgeben von Fichten und Birken, Himbeerhecken und Blaubeeren vor. Hier und da gab es Blüten von Butterblumen, Löwenzahn, Firewheed und Gänseblümchen zu entdecken. Die meisten Pflanzen aber haben schon nicht mehr geblüht. Daher ist unser erster Sommer in Nordschweden eine echte, wunderbare Überraschung! An allen Ecken leuchten die Blüten wunderschöner Blumen, Sträucher und Bäume. Außerdem sind die Vögel in großem Artenreichtum vorhanden und in fast jeder Gartenecke befindet sich ein Nistplatz: Am alten Haus in der Wand und im Dach nisten Kleiber, am Schuppen unter dem Gibel sind es mehrere Schwalben, auf einer Eberesche brütet eine Drossel und direkt vor unserem Haus in einem Vogelnistkasten im Baum sind Sumpfgrasmücken eifrig am Werk.

Anfang des Monats gibt es Tage, an denen stehe ich sehr schlecht gelaunt auf. Das liegt wohl daran, dass ich unruhig geschlafen habe und das widerum kommt daher, dass
die Stimmung am Abend und beim Zubettgehen eher negativ war. Der Feierabend liegt dann häufig irgendwo zwischen 21 und 23 Uhr. Einige Fragen und Unsicherheiten haben uns eingeholt – ein Grund dafür ist sicherlich die viele Arbeit, die der kurze Sommer in Nordschweden mit sich bringt; noch dazu für uns, da wir einen Nutzgarten praktisch von Null an aufbauen wollen und Arbeit und Geld in mehrere Grundstücke gleichzeitig stecken – dazu noch bislang ohne Profit.

Was tun wir eigentlich hier? Ich sehe plötzlich keinen Sinn mehr und dieser Gedanke deprimiert mich. Wollen wir etwa für immer in Schweden bleiben? Natürlich nicht! Folglich geht die Schafferei in Kanada doch von vorne los! Hausbau, Garten, Gewächshaus, Schuppen, Hühnerstall, Geräte… alles das nochmal. Daher bin ich überzeugt, dass wir schauen sollten, wie wir schnell zu einem Ende und Ziel mit der Arbeit gelangen. Auch Tobi geht es im Grunde so; er hat manchmal genug vom Schaffen und fragt sich dann, ob die Auszeit doch besser ein Stillstand in einer Hütte ohne Strom und Wasser gewesen wäre…

„Nicht müde werden, sondern dem Wunder – leise wie einem Vogel – die Hand hinhalten.“ Hilde Domin

War es vielleicht doch ein Fehler, Zeit in den Garten zu investieren? Für ein – zwei Ernten, der ganze Aufwand, lohnt sich das? Aber dann sehe ich, wie die Andenbeere an unserem Fenster angefangen hat, Blüten zu bilden und eine davon hat sich bereits geöffnet. Das ist wunderschön und plötzlich weiß ich wieder genau, was wir hier machen und warum. Es ist auch nicht nur für uns; es geht um das Große Ganze, um die Natur und um die Menschen, die uns besuchen kommen oder nach uns hierher ziehen. Das Leben ist ein Wunder und wir sind dabei, unser Leben durch wunderbare Dinge zu bereichern. Dazu gehören der Garten, die Hühner und unsere Gäste.

Die ersten davon sind kürzlich in Schweden angekommen: unsere Freunde, die wir vor Jahren in Koblenz kennen gelernt haben. Damals hatten sie eine kleine Tochter (oder zwei?). Inzwischen sind sie zu zehnt und leben eigentlich in Irland. Auf dem Weg zurück von Deutschland nach Irland landen sie bei uns und möchten zu unserer Freude für drei Monate hier sein. Wir finden das wunderbar! Ihr achtes Baby kam vor wenigen Wochen zur Welt und ist das Wunder in Person. Ein Wunder diesbezüglich ist auch, dass wir es schaffen, das Ferienhaus rechtzeitig für sie fertig zu bekommen. Vielleicht erinnert ihr euch, dass wir im Mai einige Wochen lang nicht arbeiten konnten und dadurch wurde die Frist bis zur Ankunft unserer Freunde recht eng. Wundervoll, dass wir Freunde haben, die uns helfen! Ohne sie hätten wir es nicht geschafft.

An unserem Ferienhaus wächst eine Menge Rhabarber und davon konnte ich Einiges ernten. Einen Kuchen gab es gestern; der Rest wird vorerst eingefroren oder zu Marmelade verarbeitet. Dann gibt es dort noch einen Haufen Johannisbeersträucher. Ich kann unser Glück kaum fassen! Was für ein Wunder. Da wir das Haus im Winter gekauft hatten, konnten wir gar nicht wissen, was sich dort unter der hohen Schneedecke an Schätzen verbirgt. Das ist doch das beste Beispiel dafür, dass die Vorbesitzer
dieses Hauses für uns einen großen, im wahrsten Sinne des Wortes, fruchtbaren Segen hinterlassen haben. So in etwa wird es hoffentlich einmal für unsere Nachfolger in Schweden sein.

Außerdem meldet sich Simona, dass sie für mich ein paar Pflänzchen für meinen Garten übrig hat. Eines Nachmittags also fahre ich wieder dorthin und finde eine
wunderschöne Idylle vor. Die Ziegen grasen am Zaun, im Garten wachsen Erdbeerpflanzen, Kohl, Johannisbeersträucher, Kräuter, weitere Nutzpflanzen und jede Menge Blumen. Die Hühner wälzen sich im Gehege in der Sonne und vier Küken sind auch darunter. Es ist wundervoll, was sich Simona und Bernd mit viel Zeit und Liebe aufgebaut haben. Es inspiriert mich ungemein. Und es ist auch wunderbar, dass sie uns davon etwas abgeben. Einfach so.

Das Lied „Privileg“ von Samuel Harfst, dieses Lied geht mir in den letzten Tagen häufig durch den Kopf. Es gibt viele Wunder, für die wir sehr dankbar sind. Eines davon ist unser alter Kater Bonnie, der sich für einige Wochen sehr zurück gezogen hatte und nur noch selten aus seiner „Höhle“ gekommen war. Ich hatte das Gefühl, nachdem er die Monate zuvor so anhänglich und verschmust war, dass er nun sterben möchte. Ich schicke Gebete nach oben, nach einem schmerzlosen Lebensabend mit friedvollem Abschied. Doch dann ist folgende Überraschung passiert: Gemeinsam mit unserer Gastfamilie veranstalten wir ein Grillfest für alle, die uns mit dem Putzen, Reparieren und Einrichten des Ferienhauses geholfen haben. Es sind viele Kinder dabei und ein paar Mädchen möchten unbedingt Bonnie streicheln, da sich unsere Katze Xena bei Besuch meist ganz schnell aus dem Staub macht. Zu meiner Überraschung lässt sich Bonnie gerne von ihnen streicheln! Sie sind zunächst sehr vorsichtig und behutsam und fragen mich, was Bonnie mag. Wie die meisten Katzen ist es Bonnie am liebsten, über den Kopf gestreichelt zu werden aber das Schönste für ihn ist, hinter den Ohren gekrault zu werden. Eines der Mädchen traut sich das und zum Dank steht Bonnie sogar auf, geht ein wenig auf sie zu und schleckt zwischendurch ihre Hand. Ich bin total überrascht, als Bonnie sich sogar von allen drei Mädchen auf einmal streicheln lässt und es sichtlich genießt! Aber das ist noch nicht alles. Denn die Tage danach kommt Bonnie wieder öfter aus seiner Höhle gekrochen und verbringt wieder mehr Zeit bei uns. Machmal kommt er sogar mit nach draußen; das hat er wirklich schon lange nicht mehr gemacht. Wie ein Wunder ist es, dass er nochmal so aufblüht und es wird mir mehr und mehr schmerzlich bewusst, dass ich ihn vermissen werde, wenn er uns verlässt.

Bonnie liegt, friedlich schlafend, zu unseren Füßen im kühlen Gras.

„Säe am Morgen deine Saat aus, leg aber auch am Abend die Hände nicht in den Schoß! Denn du weißt nicht, ob das eine oder das andere gedeiht – oder vielleicht beides zusammen!“ Prediger 11, 6

Inzwischen hat mein toller Mann unser megatolles Gewächshaus fertig gestellt, die meisten Pflanzen sind glücklich in verschiedene Beete umgesiedelt worden, die jungen Drosseln haben fleißig ihre Schnäbel aus dem Nest gereckt und ihre ersten Flugstunden hinter sich gebracht und die erste Ernte an Radieschen und Spinat stand bereits an. Meinen vorgezogenen Bohnenpflanzen hat der Umzug ins Beet leider nicht gefallen; es gab zu viel Wind und für ein paar Nächte war es nochmals recht kalt. Weil ich aber schon die Stangen für sie aufgebaut hatte, habe ich einfach ein paar Bohnen daneben in die Erde gesteckt und es hat nichtmal lange gedauert, bis die ersten ihre Köpfe rausgestreckt haben. Viel kräftiger und robuster wirken sie, als die zarten Bohnenpflänzchen aus meinem Blumentopf. Ob sie wohl noch genügend Zeit haben, um Früchte zu tragen? Einige Gurken werden sicher bald reif zur Ernte sein und die ersten Kohlrabi auch. Ich bin mega glücklich und dankbar für unseren Garten und vor allem weiß ich: im Nachhinein würde ich nichts von alle dem missen wollen; nicht einmal die harte Arbeit, die mich mit so viel Glück belohnt und genauso wenig die Momente des Frusts und der Trauer, die mir den Wert des Lebens und der Mühe darum so viel näher bringen.

Vieles gelingt, manches nicht und es wird mir immer wieder bewusst, wie sehr wir Menschen uns abmühen können und doch gibt es keine Garantie, ob sich die Mühe für uns gelohnt hat und ob wir die Früchte unserer Arbeit genießen können. Und so bete ich jeden Tag, dass Gott für die Pflänzchen und um die Tiere Sorge trägt. Wir tun unser Möglichstes und was sich im Verborgenen um uns herum daraus entwickelt, ist für mich wie ein Wunder. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Pflanzen, deren Samen wir in die Erde stecken und gießen, wachsen und Früchte tragen. Genauso wenig wie es selbstverständlich ist, dass unsere Hühner wieder gesund werden und – die Tapferen – trotz derzeitig immernoch beeinträchtigter Federpfacht, fleißig Eier legen. Ich bin sehr dankbar und blicke voller Freude auf all die Wunder um uns herum. Keines davon möchte ich missen und jedes noch so kleine Wunder schätzen.

So manche schöne Sonnenstunde genieße ich in meiner Hängematte; sind sie doch recht rar in diesem bislang so kühlen Sommer voller Wind beziehungsweise Mücken (eines dieser Übel scheint das andere nahezu ständig abzulösen…). Besonders am Vormittag, wenn die Sonne rauskommt und die Mücken und der Wind noch zu schlafen scheinen, bin ich draußen am Genießen. Es ist schön, die Pflänzchen zu gießen und sie zu betrachten, die Hühner zu versorgen und sie zu beobachten, wenn sie ins Gehege flattern.
Eines Morgens, als ich gerade noch in der Sonne auf meiener Gymnastikmatte aktiv bin, landet der Kuckuck direkt auf einer Fichte mir gegenüber und ruft seinen wunderschönen Kuckucksruf. So sehr ich anfang Juni verzweifelt war und an allem gezweifelt habe, so sicher bin ich inzwischen, dass wir im Großen und Ganzen alles richtig gemacht haben.

„Eines habe ich begriffen: Das größte Glück genießt ein Mensch in dem kurzen Leben, das Gott ihm gibt, wenn er isst und trinkt und es sich gut gehen lässt bei aller Last, die er zu tragen hat. Das ist der größte Lohn für seine Mühen. Wenn jemand es zu Reichtum bringt und sich an seinem Besitz erfreuen kann, dann hat er das Gott zu verdanken. Ja, die Früchte seiner Arbeit zu genießen, das ist Gottes Geschenk!“ Prediger 5,17-19

Wir sind gesegnet mit der Natur und ihren Schätzen, mit langen Mittsommernächten zum Genießen, mit Liebe und Glück. Übrigens: inzwischen wird es nachts nicht mehr dunkel. Wir erleben unseren allerersten Sommer in Schweden – so nördlich wie hier waren wir im Yukon nicht ganz! Die Mittsommernächte sind einfach der Hammer. Wer will da schon schlafen gehen?!

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